„Nahe bei den Menschen“: Schon der Titel des Buches verweist auf den Beitrag demokratischer Migrant*innen-Organisationen in der lokalen Geflüchtetenarbeit. Ein Beitrag, der auch künftig unverzichtbar sein wird, denn Flucht und Asyl gehen weiter – wie immer auch in Ausmaß und Regelung und damit ist und bleibt Geflüchtetenarbeit lokale Daueraufgabe. Wie sie in lokaler Verantwortungsgemeinschaft, pragmatisch, wirksam und besonnen gestaltet werden kann: hierzu liefert das Buch aus mehr als sechs Jahren Erfahrungen an bundesweit 30 Orten eine Fülle von Material und erfahrungssatten Vorschlägen.
Expert*innen-Runde: „Ein wichtiges Buch…“
Die am frühen Abend des 13. März 2025 im Berlin Global Village versammelte Gesprächsrunde begrüßte dann auch einhellig das Buch. Und zwar aus ganz verschiedenen Perspektiven: mit Bürgermeister Mirko Pink aus Hoyerswerda und Katarina Niewiedzial, der Beauftragten des Berliner Senats für Partizipation, Integration und Migration, waren unterschiedliche lokale Erfahrungen präsent, erweitert durch Dr. Tillmann Löhr um den Horizont der kommunalen, wohlfahrtsverbandlichen und staatlichen Akteure, die im Deutschen Verein für Öffentliche und Private Fürsorge versammelt sind. Dr. Noa K. Ha, Geschäftsführerin des DeZIM-Instituts, kommt aus der einschlägigen Migrationsforschung. Und schließlich waren mit Miltiadis Oulios („COSMO“) und Fabio Ghelli vom Mediendienst Integration Medienleute am Gespräch beteiligt, die sich seit vielen Jahren mit einwanderungsgesellschaftlichen Fragen befassen.

In der Gesprächsrunde tauschten sich die geladenen Expertinnen über die Geflüchtetenarbeit und die Rolle der Migrantinnen-Organisationen aus. Am Mikrofon: Dr. Noa K. Ha vom DeZIM-Institut. Foto: Alex Serdyuk.
„… zur richtigen Zeit“
„Auf den ersten Blick scheint es, als käme dieses Buch zur Unzeit. Doch gerade jetzt ist eine differenzierte Diskussion wichtiger denn je“, betonte eingangs Dr. Elizabeth Beloe, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands NeMO. Es folgte ein sehr lebhafter und wertschätzender Austausch, in dem auch betont wird, dass die aufgeheizte öffentliche Diskussion zum Thema Migration und Integration mit den realen positiven Entwicklungen „vor Ort“ wenig zu tun haben.
Laura Kolland, Referatsleiterin im Referat AS 2 im Bundeskanzleramt, die auch Grüße der Staatsministerin überbrachte, zeigte sich vom Buch begeistert: Dass nun nachgelesen werden könne, welchen stetigen konstruktiven Beitrag Migrant*innen-Organisationen für die konkrete Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft leisteten und leisten, sei ein Meilenstein. Dr. Tillmann Löhr sah das ähnlich und unterstrich die wichtige Rolle von Migrant*innen-Organisationen, wies aber darauf hin, dass sie – etwa verglichen mit den Wohlfahrtsverbänden – personell unterausgestattet seien und damit für sie „Kontinuität“ offenbar eine besondere Herausforderung darstelle.

Laura Kolland, Referatsleiterin im Referat AS 2 – im Bundeskanzleramt sprach ein Grußwort und lobte das Modellprojekt und dessen Ergebnis. Foto: Alex Serdyuk.
Ein Beitrag zum Verständnis der Entwicklung der Einwanderungsgesellschaft in Deutschland
Noa K. Ha sieht das Buch als einen grundlegenden Beitrag zum Verständnis der Entwicklung der Einwanderungsgesellschaft – insbesondere auch auf der lokalen Ebene – im letzten Jahrzehnt, auch, weil es die verschiedenen Phasen der Geflüchtetenarbeit seit 2015 jeweils unter ihren damals vorherrschenden Bedingungen beschreibe. Miltiadis Oulios, der das Gespräch moderierte, hob ebenfalls hervor, dass Prozessbeschreibung, Materialfülle und aus vielfältigen Erfahrungen gewonnene Vorschläge dieses Buch außergewöhnlich machen. Es komme aber aus guten Gründen so unspektakulär daher, dass es sich wohl kaum für Schlagzeilen eigne. Beides unterstrich Fabio Ghelli ausdrücklich.
Nicht nur ein Erfahrungsschatz, sondern auch eine Handreichung für die Zukunft
Mirko Pink und Katarina Niewiedzial finden jeweils ihre eigenen lokalen Erfahrungen im Buch wieder, was zugleich das breite Spektrum lokal-kommunaler Realitäten zeigt, die im Buch zu Wort kommen. Für beide Orte- Hoyerswerda und Berlin – so unterschiedlich sie in Größe, Bevölkerung und Geschichte sind, gilt: Geflüchtetenarbeit wird als eine Aufgabe angesehen, der sich auch in Zukunft die Kommunen weder entziehen können noch wollen, und in beiden Fällen sind hierfür Migrant*innen-Organisationen unverzichtbar. Dies trifft auch im Kreis der zahlreichen Zuhörenden – unter ihnen viele Koordinator*innen aus dem nachgefolgten Projekt GLEICH teilhaben und Vorstandsmitglieder von BV NeMO – auf große Zustimmung. Alle freuen sich, dass dieses Buch nun auch ihre vieljährige, anforderungsreiche und engagierte Arbeit würdigt.
Zum Buch
Das Buch „Nahe bei den Menschen“ dokumentiert und reflektiert die sechs Jahre lange Arbeit des Projekts „Stärkung von Aktiven aus Migrantenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit“ (kurz: samo.fa), das bundesweit an 30 Standorten vom BV NeMO und lokalen migrantischen Partnerorganisationen umgesetzt und von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration gefördert wurde. Das Buch spannt in 10 Kapiteln sowohl chronologisch als auch thematisch einen Bogen vom »Sommer des Willkommens« 2015 bis heute. In diesen Zeitraum fällt sowohl die Corona-Krise als auch die starke Fluchtbewegung aus der Ukraine: beides einschneidende Ereignisse, gewissermaßen wichtige „Lernstücke“. Die gesamte Geschichte vermittelt diese wichtige Einsicht: Demokratische Migrant*innen-Organisationen sind als aktive Mitgestalter nicht mehr wegzudenken. Ihr direkter Kontakt („Nahe bei den Menschen“) und ihre Erfahrungen aus den oftmals schwierigen und langwierigen Wegen des Ankommens sind für die Betroffenen und für die Städte sehr wertvoll.

Vorstandsvorsitzende des BV NeMO, Dr. Elizabeth Beloe, präsentiert das neu veröffentlichte Buch. Foto: Alex Serdyuk.
Gut Ankommen: eine vielfältige und dauerhafte Aufgabe
Die gesammelten Erfahrungen zeigen, dass Integration und Teilhabe langfristige Herausforderungen sind, die kontinuierliche politische Unterstützung und stabile Strukturen benötigen. Gut Ankommen ist ein langwieriger und schwieriger Prozess. Über die Jahre sind die beteiligten Migrant*innen-Organisationen und der BV NeMO zu Ankommensspezialisten geworden. Hier setzt das Buch an: Es bietet nicht nur eine Bestandsaufnahme, sondern zeigt auch, wie auch in Zukunft Ankommen wirksam vor Ort gestaltet werden kann.
Fotos: Alex Serdyuk